Mein Patenkind A Se

Besuch bei meinem Patenkind in Tram Tau

"Mir begegnete ein sehr schüchterner aber sehr höflicher elfjähriger Junge."
Autor: sabine  | 
Do., 07/19/2018 - 10:33
Autor: sabine
Spielplatz und Ernährungsklub

Empfang im World Vision-Büro

Der nächste Tag begann recht früh mit einem pikanten Frühstück, das wir direkt bei einer fahrbaren Straßenküche einnahmen. Danach ging es weiter nach Tram Tau in die kleine World Vision-Zentrale, von der das Projekt im Nordwesten von Vietnam koordiniert wird. Gleich wenn man das Haus betritt, befindet man sich im größten Raum, in der Mitte davon steht ein ovaler Besprechungstisch und dazugehörige Sitzgelegenheiten, an einer Wand sind wenige Arbeitsplätze mit Computern aufgereiht, an denen geschäftig einige Projektmitarbeiter arbeiteten.
Wir wurden noch einmal offiziell durch Herrn Dang begrüßt und zu einer Präsentation über das Programm eingeladen. Wir lernten über die unterschiedlichen Initiativen, die von Schulprogrammen und Weiterbildungsmaßnahmen der ethnischen Minderheiten, über den Bau von Latrinen und besser isolierten Heizstellen, Schulungen zum richtigen Einsatz und der Kombination verschiedener Saatgüter, bis hin zur Einrichtung von Mütterzentren und dem Bau von Kinderspielplätzen mit einfachsten Mitteln reichten. Mit einigen Beispielen wurden uns die Augen über die Armut dieser Menschen geöffnet und die Sackgasse, in der sie ohne dieses Programm stecken würden. Das Leben am Limit fordert ihnen alles ab, sodass es ohne Hilfestellungen zu einem wirklichen Überlebenskampf kommt. Durch jede Kleinigkeit, die das Leben der Menschen entlastet wird weiteres Potential für eine langfristige Verbesserung frei. Benötigt der Holzofen zum Beispiel weniger Energie, muss weniger Holz gesammelt werden und es bleibt Zeit für Bildung. Wir waren erstaunt und irritiert zugleich, dass die Notwendigkeit und Nutzung einer Latrine auch nicht selbstverständlich ist und die Masse der Menschen ohne entsprechende Aufklärung ihre Notdurft einfach auf den Feldern verrichten würden, was zur Ausbreitung von Krankheiten führt und wiederum eine lebensgefährliche Belastung darstellt. Über das Programm werden insgesamt mehr als 15.000 Menschen unterstützt, die damit eine echte Perspektive für ihr Leben und das ihrer Kinder erhalten (zum Vergleich: die Bevölkerungszahl in Lienz/Osttirol liegt knapp unter 12.000 Einwohnern). Nach dem theoretischen Überblick und den statistischen Kennzahlen des Programms einschließlich der Zielsetzungen in Abstimmung mit der vietnamesischen Regierung startete die eigentliche Tour, bei der wir die Initiativen des Programms direkt erleben durften.

In der Schule meines Patenkindes

Die erste Station war gleich die Schule, in der ich endlich Hang A Se, mein Patenkind, das ich seit 2010 unterstütze, kennen lernen sollte. Zunächst lernten wir die Direktorin der Schule und einen Lehrer bei einer Tasse Tee kennen. Beide wunderten sich darüber, dass wir noch so jung waren und hießen uns herzlich willkommen.

Manner-Schnitten, UNO-Karten und mein Patenkind A Se

Als nächstes wurden wir in einen größeren Raum geführt, in dem Hang A Se gemeinsam mit seiner ganz traditionell gekleideten Mutter auf uns wartete. Mir begegnete ein sehr schüchterner aber sehr höflicher elfjähriger Junge, der offensichtlich nicht so genau wusste, wie er auf uns reagieren sollte und mir zur Begrüßung ein selbst gemaltes Bild überreichte. Offenbar wollte er uns nicht das Gefühl geben uns anzustarren und sah deshalb eher an uns vorbei. In unserer multikulturellen Gesellschaft daheim sind wir auch an unterschiedlichste äußere Erscheinungen gewöhnt und mir wurde bewusst, dass hellhaarige, blauäugige Europäer vielleicht eher befremdlich wirkten. Ich hatte eine Packung Manner-Schnitten und UNO-Karten mitgebracht und überreichte zunächst die Süßigkeiten. A Se war offensichtlich nicht hungrig, öffnete aber die Packung, nachdem aus dem Hintergrund einige auffordernde Worte zu vernehmen waren und bot uns dann auch etwas an. Ich musste fast lachen und ein wenig tat mir die Situation leid, in die ich ihn gebracht hatte. Umringt von der Direktorin der Schule, mehreren Lehrern, der Mutter und uns Fremden kann das keine entspannte Atmosphäre erzeugen. Ich stellte ein paar einfache Fragen, die ich auch in meinen Briefen benutzt habe und bekam brav Antworten zurück. „Was ist deine Lieblingsfarbe?“ – „Grün.“ – „Wie lange brachst du zur Schule?“ – „Eine Stunde.“ – „Hast du Geschwister?“ – „Ja, eine Schwester und einen Bruder.“ Es wurde also kein Gespräch daraus und offenbar war er zu schüchtern, um selbst etwas zu fragen. Deshalb zeigte ich ihm zunächst ein paar Fotos von meiner Familie und wollte dann das Kartenspiel ausprobieren. UNO kennt bei uns jeder, Kartenspiele sind in Vietnam aber eher unüblich. Herr Dang hatte mich auch vorgewarnt, dass ich ihn mit dem Spiel überfordern würde. Tatsächlich ließ er es sich auch nicht nehmen mitzuspielen, während ich die Regeln auf Englisch erklärte und Herr Dang sie für alle ins Vietnamesische übersetzte. Vor allem die Lehrer waren begeistert und freuten sich über das neue Spiel. A Se legte brav die Karte auf den Tisch, auf die alle zeigten und hatte weniger Spaß. Damit ließ ich das auch gut sein und fragte nach Papier und Stiften. Nachdem ein Lehrer uns diese gereicht hatte, fragte ich A Se, ob er mit mir etwas zeichnen wolle und nachdem er das bejaht hatte, was wir denn zeichnen sollten. Er wollte wissen, wie ich daheim wohne und bat mich, unser Haus zu zeichnen. Ich war froh, über diesen Weg ein bisschen mit ihm ins Gespräch gekommen zu sein. Das Bild durfte er natürlich behalten und ich glaube, er war recht froh, sich beim Ausmalen beschäftigen zu können. Nach einer Weile verabschiedeten wir uns und setzten die Tour fort.

Reisfeld

Mit Mopeds auf Erkundungstour durch Tram Tau

Als Sozius auf Mopeds fuhren wir schmale, matschige Gehwege bergauf bis wir zu Reisfeldern gelangten, die sich in Terrassen über die Berge zogen. Dort wurde uns erklärt, wie durch den Einsatz mehrerer Saatgüter und durch die Erzeugung des eigenen Düngers der Ertrag gesteigert werden konnte. Zuvor ist es sich oftmals nicht ausgegangen, dass eine Familie über das ganze Jahr mit den eigenen Erzeugnissen ausgekommen ist, jetzt können auch kleine Überschüsse erzeugt werden.
Danach konnten wir uns ein Bild von einem kleinen Dorf in den Bergen machen. Der Matsch war überall und zwischen den Holzhütten waren kleine Ställe für die Wasserbüffel aufgebaut. Fließendes Wasser oder Strom gab es dort nicht und ein recht freundlicher Dorfbewohner zeigte uns das Innere seines Hauses, das aus einem einzelnen Raum mit zwei Feuerstellen und einer Schlafnische bestand. Neben dem Haus zeigte man uns die Latrine, die mit Hilfe von World Vision aufgebaut wurde und täglich gereinigt wurde. Ich möchte mir die Zustände vor dem Bau der Latrine gar nicht vorstellen.

Mittagessen mit A Se und seiner Mutter

Nach dem Besuch in den Reisfeldern und dem Bergdorf trafen wir uns noch einmal mit A Se und seiner Mutter zum Mittagessen. In Vietnam ist es üblich, den Tisch zu verlassen, wenn man fertig gegessen hat und so ergaben sich dabei auch wenig Gespräche. Danach mussten wir uns endgültig verabschieden und ich versprach noch, bald wieder zu schreiben.

Müttersklub

Spielplatz und Mütterzentrum

Als nächstes besuchten wir eine Schule, bei der durch das Programm ein Spielplatz mit einfachsten Mitteln aus alten Reifen und ein wenig Holz aufgebaut wurde. Uns begrüßte der Bürgermeister der Region und zeigte uns die Anlage, die unterhalb eines Stelzenhauses lag. Es war alles da, was man sich auf einem Spielplatz erwartet. Schaukeln, Wippen und halb eingegrabene Reifen, auf denen man balancieren kann. Das Wesentliche ist jedoch die Möglichkeit, mit anderen in Kontakt zu kommen. Junge Mütter, die sich dort treffen, erzählen von ihren Erfahrungen und werden zu Weiterbildungsprogrammen eingeladen. So war der letzte Programmpunkt auch der Besuch von einem Mütterzentrum.
Dort trafen wir auf vielleicht 15 junge Mütter und deren Kinder, die sich offensichtlich alle auf das Treffen freuten. Man hieß uns willkommen und wir durften bei der Sitzung dabei sein. Zunächst wurde ein Spiel gespielt. Zwei der Mütter saßen Rücken an Rücken, die eine musste eine Kinderkrankheit umschreiben und die andere musste diese erraten. Dabei wurden beide natürlich von der Gruppe unterstützt und es wurde trotz des ernsten Hintergrundes viel gelacht. Danach wurde gezeigt, wie man für sein Kind ein gesundes Essen zubereitet und für das nötige Wachstum sorgt. Dabei wurde ein einfaches Reisgericht mit ein wenig Öl angereichert. Tafeln an den Wänden zeigten das Gewicht der jeweiligen Kinder und ob eine gesunde Gewichtszunahme geglückt oder irgendwann stagniert ist. Neben der notwendigen Überprüfung der Gesundheit der Kinder und der Vermittlung an Wissen, wie man für sie sorgt, haben wir das Zentrum vor allem als Ort für Frauen wahrgenommen, die alle als junge, liebevolle Mütter in der gleichen Situation sind und vor allem den Austausch untereinander brauchen.

Ein ereignisreicher Tag geht zu Ende

Damit endete der Projektbesuch. Es war ein sehr langer Tag mit vielen Einblicken in eine Lebensweise, die uns zum Glück fremd ist. Die Form der Armut ist bei uns daheim so nicht existent und der Optimismus der Menschen vor allem durch die von World Vision gesetzten Initiativen so groß, dass jeder kleine Schritt zur Entwicklungshilfe dort viel bewirkt.
Unser größter Respekt gehört jenen, die sich täglich mit großer Mühe an den Projekten und Initiativen beteiligen und diese Verbesserungen ermöglichen. An dieser Stelle noch einmal vielen Dank für die Möglichkeit dieses Besuches und der unglaublichen Erfahrungen, die uns weiterhin begleiten werden.

Matthias Krakovsky