
Besuch bei meinem Patenkind in Tram Tau
Oft komme ich nur im Urlaub dazu, meinem Patenkind zu schreiben und so erhält Hang A Se meistens Post mit Bildern aus den verschiedensten Ländern. Im vorigen Jahr überraschte er mich in seiner Antwort mit der Frage, ob ich auch einmal sein Land besuchen wolle. Das nahm ich zum Anlass, das Ziel der nächsten größeren Reise nach Vietnam festzulegen und konnte auch meine Verlobte von dem Abenteuer Projektbesuch in Tram Tau überzeugen.
Das erste Ziel der Reise war Phu Quok, die Insel ganz im Süden des Landes, die vor allem touristisch genutzt wird. Wir hatten dort eine schöne Zeit mit einer Rundfahrt zu einer Perlenzucht, einer Fabrik für Fischsauce, einer Fabrik für Sim-Wein, einer Pfefferfarm und einem beeindruckenden Tempel, für dessen Aufbau jedoch erst vor kurzem die vietnamesische Regierung gesorgt hatte. Die restliche Zeit verbrachten wir entspannt am Strand. Nach etwa einer Woche nahmen wir einen Inlandsflug nach Hanoi und brachen nach einer Nacht zum Projekt in Tram Tau auf.
Aufregende Autofahrt nach Tram Tau
Uns holte direkt vom Hotel ein freundlicher Fahrer ab, mit dem wir uns allerdings nicht viel verständigen konnten. Davon überzeugt, dass er unser Ziel kennt, stiegen wir in seinen Geländewagen ein und machten uns auf den Weg.
Nach dem dichten vietnamesischen Verkehr in Hanoi, der mehr auf Improvisation als auf starren Regeln beruht, fuhren wir eine gut befestigte Landstraße zwischen Reisfeldern, arbeitenden Menschen und Wasserbüffeln entlang. Nach einer Weile begann sich die Gegend zu verändern. Das Umfeld wurde hügeliger und die Straßen bestanden nur noch aus gewalzter Erde. Oft sahen wir Baufahrzeuge an den Seiten stehen, die uns darauf schließen ließen, dass diese Straßen auch noch nicht lange bestanden. Zum Teil fuhren wir zwischen gewaltigen Erdmassen hindurch und einige Male musste auch der Fahrer nach dem Weg fragen, um seine Orientierung wieder zu erlangen, oder sich bei Straßengabelungen auf gut Glück für eine Richtung entscheiden, was dazu führte, dass wir an einigen Stellen in Sackgassen fuhren, in denen die Straßen abrupt endeten und wir umkehren mussten. Durch die vielen Schlaglöcher kamen wir zum Teil nur schleppend voran und nach einiger Zeit taten uns vom Durchschütteln die Rücken und Köpfe weh. Zumindest verstand ich jetzt, warum wir für eine Strecke von 250 km sechs Stunden brauchen sollten.
Europäer und Essstäbchen
Kurz vor dem Ziel hielten wir an und der Fahrer machte uns klar, dass wir noch auf jemanden warten würden. Es stieg noch ein Mann zu, der nicht viel älter als ich sein konnte und sich schließlich als Projektmanager des Area Development Program (ADP) vorstellte. Gemeinsam fuhren wir zu einem Hotel, checkten ein und lernten einander anschließend bei einem gemeinsamen Abendessen besser kennen. Herr Dang, wie sich der Manager des Entwicklungsprogramms vorstellte, lebt mit seiner jungen Familie in Hanoi und ist es gewohnt, zu seinem Einsatzort zu pendeln. Wir aßen gemeinsam gedünstete Bambussprossen und gegrilltes Fleisch und wurden bestaunt, nachdem sich herausgestellt hatte, dass wir durchaus mit Essstäbchen umgehen konnten. Generell hätten wir uns alleine wahrscheinlich nicht in ähnliche Lokale gewagt, waren aber sehr froh durch die Begleitung von Herrn Dang etwas Neues ausprobieren zu können. Wir hatten während der gesamten Reise keinerlei Beschwerden nach dem Essen in irgendwelchen Straßenküchen. Wir sprachen über den Ablauf des nächsten Tages, an dem ich nun endlich meinem Patenkind begegnen sollte und schlossen den Tag mit einem kurzen Fußmarsch zurück zum Hotel ab.

Empfang im World Vision-Büro
Der nächste Tag begann recht früh mit einem pikanten Frühstück, das wir direkt bei einer fahrbaren Straßenküche einnahmen. Danach ging es weiter nach Tram Tau in die kleine World Vision-Zentrale, von der das Projekt im Nordwesten von Vietnam koordiniert wird. Gleich wenn man das Haus betritt, befindet man sich im größten Raum, in der Mitte davon steht ein ovaler Besprechungstisch und dazugehörige Sitzgelegenheiten, an einer Wand sind wenige Arbeitsplätze mit Computern aufgereiht, an denen geschäftig einige Projektmitarbeiter arbeiteten.
Wir wurden noch einmal offiziell durch Herrn Dang begrüßt und zu einer Präsentation über das Programm eingeladen. Wir lernten über die unterschiedlichen Initiativen, die von Schulprogrammen und Weiterbildungsmaßnahmen der ethnischen Minderheiten, über den Bau von Latrinen und besser isolierten Heizstellen, Schulungen zum richtigen Einsatz und der Kombination verschiedener Saatgüter, bis hin zur Einrichtung von Mütterzentren und dem Bau von Kinderspielplätzen mit einfachsten Mitteln reichten. Mit einigen Beispielen wurden uns die Augen über die Armut dieser Menschen geöffnet und die Sackgasse, in der sie ohne dieses Programm stecken würden. Das Leben am Limit fordert ihnen alles ab, sodass es ohne Hilfestellungen zu einem wirklichen Überlebenskampf kommt. Durch jede Kleinigkeit, die das Leben der Menschen entlastet wird weiteres Potential für eine langfristige Verbesserung frei. Benötigt der Holzofen zum Beispiel weniger Energie, muss weniger Holz gesammelt werden und es bleibt Zeit für Bildung. Wir waren erstaunt und irritiert zugleich, dass die Notwendigkeit und Nutzung einer Latrine auch nicht selbstverständlich ist und die Masse der Menschen ohne entsprechende Aufklärung ihre Notdurft einfach auf den Feldern verrichten würden, was zur Ausbreitung von Krankheiten führt und wiederum eine lebensgefährliche Belastung darstellt. Über das Programm werden insgesamt mehr als 15.000 Menschen unterstützt, die damit eine echte Perspektive für ihr Leben und das ihrer Kinder erhalten (zum Vergleich: die Bevölkerungszahl in Lienz/Osttirol liegt knapp unter 12.000 Einwohnern). Nach dem theoretischen Überblick und den statistischen Kennzahlen des Programms einschließlich der Zielsetzungen in Abstimmung mit der vietnamesischen Regierung startete die eigentliche Tour, bei der wir die Initiativen des Programms direkt erleben durften.
In der Schule meines Patenkindes
Die erste Station war gleich die Schule, in der ich endlich Hang A Se, mein Patenkind, das ich seit 2010 unterstütze, kennen lernen sollte. Zunächst lernten wir die Direktorin der Schule und einen Lehrer bei einer Tasse Tee kennen. Beide wunderten sich darüber, dass wir noch so jung waren und hießen uns herzlich willkommen.
Manner-Schnitten, UNO-Karten und mein Patenkind A Se
Als nächstes wurden wir in einen größeren Raum geführt, in dem Hang A Se gemeinsam mit seiner ganz traditionell gekleideten Mutter auf uns wartete. Mir begegnete ein sehr schüchterner aber sehr höflicher elfjähriger Junge, der offensichtlich nicht so genau wusste, wie er auf uns reagieren sollte und mir zur Begrüßung ein selbst gemaltes Bild überreichte. Offenbar wollte er uns nicht das Gefühl geben uns anzustarren und sah deshalb eher an uns vorbei. In unserer multikulturellen Gesellschaft daheim sind wir auch an unterschiedlichste äußere Erscheinungen gewöhnt und mir wurde bewusst, dass hellhaarige, blauäugige Europäer vielleicht eher befremdlich wirkten. Ich hatte eine Packung Manner-Schnitten und UNO-Karten mitgebracht und überreichte zunächst die Süßigkeiten. A Se war offensichtlich nicht hungrig, öffnete aber die Packung, nachdem aus dem Hintergrund einige auffordernde Worte zu vernehmen waren und bot uns dann auch etwas an. Ich musste fast lachen und ein wenig tat mir die Situation leid, in die ich ihn gebracht hatte. Umringt von der Direktorin der Schule, mehreren Lehrern, der Mutter und uns Fremden kann das keine entspannte Atmosphäre erzeugen. Ich stellte ein paar einfache Fragen, die ich auch in meinen Briefen benutzt habe und bekam brav Antworten zurück. „Was ist deine Lieblingsfarbe?“ – „Grün.“ – „Wie lange brachst du zur Schule?“ – „Eine Stunde.“ – „Hast du Geschwister?“ – „Ja, eine Schwester und einen Bruder.“ Es wurde also kein Gespräch daraus und offenbar war er zu schüchtern, um selbst etwas zu fragen. Deshalb zeigte ich ihm zunächst ein paar Fotos von meiner Familie und wollte dann das Kartenspiel ausprobieren. UNO kennt bei uns jeder, Kartenspiele sind in Vietnam aber eher unüblich. Herr Dang hatte mich auch vorgewarnt, dass ich ihn mit dem Spiel überfordern würde. Tatsächlich ließ er es sich auch nicht nehmen mitzuspielen, während ich die Regeln auf Englisch erklärte und Herr Dang sie für alle ins Vietnamesische übersetzte. Vor allem die Lehrer waren begeistert und freuten sich über das neue Spiel. A Se legte brav die Karte auf den Tisch, auf die alle zeigten und hatte weniger Spaß. Damit ließ ich das auch gut sein und fragte nach Papier und Stiften. Nachdem ein Lehrer uns diese gereicht hatte, fragte ich A Se, ob er mit mir etwas zeichnen wolle und nachdem er das bejaht hatte, was wir denn zeichnen sollten. Er wollte wissen, wie ich daheim wohne und bat mich, unser Haus zu zeichnen. Ich war froh, über diesen Weg ein bisschen mit ihm ins Gespräch gekommen zu sein. Das Bild durfte er natürlich behalten und ich glaube, er war recht froh, sich beim Ausmalen beschäftigen zu können. Nach einer Weile verabschiedeten wir uns und setzten die Tour fort.

Mit Mopeds auf Erkundungstour durch Tram Tau
Als Sozius auf Mopeds fuhren wir schmale, matschige Gehwege bergauf bis wir zu Reisfeldern gelangten, die sich in Terrassen über die Berge zogen. Dort wurde uns erklärt, wie durch den Einsatz mehrerer Saatgüter und durch die Erzeugung des eigenen Düngers der Ertrag gesteigert werden konnte. Zuvor ist es sich oftmals nicht ausgegangen, dass eine Familie über das ganze Jahr mit den eigenen Erzeugnissen ausgekommen ist, jetzt können auch kleine Überschüsse erzeugt werden.
Danach konnten wir uns ein Bild von einem kleinen Dorf in den Bergen machen. Der Matsch war überall und zwischen den Holzhütten waren kleine Ställe für die Wasserbüffel aufgebaut. Fließendes Wasser oder Strom gab es dort nicht und ein recht freundlicher Dorfbewohner zeigte uns das Innere seines Hauses, das aus einem einzelnen Raum mit zwei Feuerstellen und einer Schlafnische bestand. Neben dem Haus zeigte man uns die Latrine, die mit Hilfe von World Vision aufgebaut wurde und täglich gereinigt wurde. Ich möchte mir die Zustände vor dem Bau der Latrine gar nicht vorstellen.
Mittagessen mit A Se und seiner Mutter
Nach dem Besuch in den Reisfeldern und dem Bergdorf trafen wir uns noch einmal mit A Se und seiner Mutter zum Mittagessen. In Vietnam ist es üblich, den Tisch zu verlassen, wenn man fertig gegessen hat und so ergaben sich dabei auch wenig Gespräche. Danach mussten wir uns endgültig verabschieden und ich versprach noch, bald wieder zu schreiben.

Spielplatz und Mütterzentrum
Als nächstes besuchten wir eine Schule, bei der durch das Programm ein Spielplatz mit einfachsten Mitteln aus alten Reifen und ein wenig Holz aufgebaut wurde. Uns begrüßte der Bürgermeister der Region und zeigte uns die Anlage, die unterhalb eines Stelzenhauses lag. Es war alles da, was man sich auf einem Spielplatz erwartet. Schaukeln, Wippen und halb eingegrabene Reifen, auf denen man balancieren kann. Das Wesentliche ist jedoch die Möglichkeit, mit anderen in Kontakt zu kommen. Junge Mütter, die sich dort treffen, erzählen von ihren Erfahrungen und werden zu Weiterbildungsprogrammen eingeladen. So war der letzte Programmpunkt auch der Besuch von einem Mütterzentrum.
Dort trafen wir auf vielleicht 15 junge Mütter und deren Kinder, die sich offensichtlich alle auf das Treffen freuten. Man hieß uns willkommen und wir durften bei der Sitzung dabei sein. Zunächst wurde ein Spiel gespielt. Zwei der Mütter saßen Rücken an Rücken, die eine musste eine Kinderkrankheit umschreiben und die andere musste diese erraten. Dabei wurden beide natürlich von der Gruppe unterstützt und es wurde trotz des ernsten Hintergrundes viel gelacht. Danach wurde gezeigt, wie man für sein Kind ein gesundes Essen zubereitet und für das nötige Wachstum sorgt. Dabei wurde ein einfaches Reisgericht mit ein wenig Öl angereichert. Tafeln an den Wänden zeigten das Gewicht der jeweiligen Kinder und ob eine gesunde Gewichtszunahme geglückt oder irgendwann stagniert ist. Neben der notwendigen Überprüfung der Gesundheit der Kinder und der Vermittlung an Wissen, wie man für sie sorgt, haben wir das Zentrum vor allem als Ort für Frauen wahrgenommen, die alle als junge, liebevolle Mütter in der gleichen Situation sind und vor allem den Austausch untereinander brauchen.
Ein ereignisreicher Tag geht zu Ende
Damit endete der Projektbesuch. Es war ein sehr langer Tag mit vielen Einblicken in eine Lebensweise, die uns zum Glück fremd ist. Die Form der Armut ist bei uns daheim so nicht existent und der Optimismus der Menschen vor allem durch die von World Vision gesetzten Initiativen so groß, dass jeder kleine Schritt zur Entwicklungshilfe dort viel bewirkt.
Unser größter Respekt gehört jenen, die sich täglich mit großer Mühe an den Projekten und Initiativen beteiligen und diese Verbesserungen ermöglichen. An dieser Stelle noch einmal vielen Dank für die Möglichkeit dieses Besuches und der unglaublichen Erfahrungen, die uns weiterhin begleiten werden.
Matthias Krakovsky