Wenn aus Wüsten Wälder werden
‚Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm‘ – Ein Sprichwort wie geschaffen für Biron und seinen Vater Charles. Biron lebt mit seinen Eltern und acht Geschwistern im Westen Kenias. Charles ist Kleinbauer und hat eine ganz besondere Affinität zu Bäumen. Auf seinem Stück Land stehen rund 900. Biron kennt beinahe jede Art beim Namen – sowohl in der einheimischen Sprache Dhuluo als auch in ihrer botanischen Bezeichnung. Diese Vielfalt an Grün ist aber nicht selbstverständlich, wie Charles erklärt: „Vor etlichen Jahren gab es hier noch unzählige Bäume. Aber die Menschen haben sie falsch beschnitten und gefällt, um Kohle zu erzeugen – und so die Bäume zerstört.“
Die Methode macht‘s
In vielen Regionen Kenias wurden jahrelang Wälder abgeholzt. Auch Charles verdiente sich so ein Einkommen für die Familie. Bis er 2015 von einer Methode hört, die sein Leben für immer verändern wird. Charles nimmt an einer Schulung von World Vision in seinem Dorf teil. „Dabei haben wir gelernt, nur bestimmte Äste und Zweige von den Bäumen abzuschneiden, damit sie besser und kontinuierlicher wachsen. Das ist Teil der Methode ‚Farmer Managed Natural Regeneration‘ (abgekürzt: FMNR)“, berichtet der Kleinbauer.
Charles verkauft nun bloß einzelne Äste und Zweige der Bäume an Nachbarn oder auf dem nächstgelegenen Markt. Nur ganz selten fällt er einen Baum. „Ich wähle die Bäume gezielt nach ihrem Alter aus und fälle sie so, dass noch ein kurzer Stumpf übrigbleibt. So können sie am besten neu wachsen“, sagt Charles stolz.

Biron will den Regen holen
Wenn Biron gerade nicht in der Schule sitzt, hilft er seinem Vater mit den Bäumen. „Am liebsten pflanze ich Bäume, denn wenn sie groß sind, kann man sie verkaufen. Mit dem Geld kann man dann die Familie versorgen“, erzählt Biron. „Es gibt nur noch selten Regen hier. Ich werde unsere Region in einen Wald verwandeln. Dann wird der Regen zurückkommen.“
Klima im Wandel
Regen. In den Ohren vieler Menschen in Afrika klingt das wie die schönste Musik. Der Klimawandel betrifft alle Länder, doch die ärmsten Gegenden der Welt sind am stärksten davon bedroht. Wenn dadurch in den nächsten Jahren großflächig Anbaugebiete für Mais und Getreide verloren gehen, wird der Hunger in Afrika weiter zunehmen.


Der verrückte weiße Bauer
Ein Mann, der das ändern möchte, ist der Australier Tony Rinaudo. Um seine Geschichte zu verstehen, müssen wir zum Anfang der 1980er zurückblicken. Tony ist damals für World Vision im Niger tätig, wo eine furchtbare Dürre und Hungersnot die Familien der Sahel-Zone plagen. Als einzig richtige Methode gilt, dass man Bäume in einer Baumschule ziehen und pflanzen muss. Auch Tony und seine Kollegen tun das zweieinhalb Jahre lang – ohne Erfolg. „Als ich damals durch die Wüste fuhr, war ich kurz davor zu verzweifeln“, erzählt Tony. „Aber als ich aus meinem Auto stieg, sah ich im Sand überall kleine Büschel mit grünen Blättern. Ich grub tiefer und erkannte, dass sich darunter ein riesiges Wurzelwerk, ein unterirdischer Wald befand.“
Tony beginnt, aus den Wurzeln im Boden neue Bäume zu ziehen. Anfangs stößt er auf viel Skepsis. Die Kleinbauern nennen ihn den „verrückten weißen Bauern“. Doch die einfache und preiswerte Methode funktioniert: Aus den Wurzeln sprießen wieder kleine Bäume und Sträucher. Und die Bauern, die FMNR auf ihren Äckern anwenden, können teilweise zwei- bis dreimal so hohe Ernteerträge einfahren als vorher. Heute heißen viele Kinder im Niger Tony.
Wüste wird Wald
Sogar vom Weltall aus kann man erkennen, dass Tony Rinaudo ganze Arbeit geleistet hat. Satellitenbilder von Niger und Äthiopien liefern den Beweis: Wo früher Wüste war, ist heute Wald. Hätte er sich das träumen lassen? Mit Sicherheit nicht. Bescheiden weist der Australier den Erfolg von sich: „Es ist wundervoll, was die Menschen hier vollbracht haben.“ Er betont aber auch: „Niemand auf der Welt müsste hungern. Durch FMNR können riesige Teile der Erde wieder begrünt werden. Die Menschen müssen nur die Augen öffnen. Überall wachsen Bäume unter der Erde.“
Preisgekrönt – doch es gibt noch viel zu tun
Im Herbst 2018 hat Tony Rinaudo für die FMNR-Methode den „Alternativen Nobelpreis“ erhalten. Tony dazu: „Der Preis bedeutet mir viel. Ich habe ihn stellvertretend für alle Menschen angenommen, die über die Jahre dazu beigetragen haben, dass dürre Landstriche wieder Früchte tragen. Der Klimawandel schreitet voran und es ist mir wichtig, die Botschaft zu verbreiten, dass großflächige Wiederaufforstung schnell geht und auch noch sehr wenig kostet. Ich habe mir fest vorgenommen, dass im Jahr 2030 diese Methode in allen Ländern angewandt wird, in denen sich World Vision engagiert.“ Vielleicht wird ihm Biron schon bald dabei helfen.
