Ajmira macht Fotos mit einem Mobiltelefon

Warum haben Familien, die in Armut leben, Mobiltelefone?

Für die meisten von uns sind Mobiltelefone im täglichen Leben unverzichtbar  vielleicht jetzt mehr denn je in unserem COVID-19-Alltag! Wir verlassen selten unser Zuhause oder gehen nicht einmal in den Raum nebenan, ohne das Handy mitzunehmen! Aber warum sollte eine Familie, die Schwierigkeiten hat, ihre Kinder mit Essen zu versorgen oder Schulgebühren zu zahlen, ein Mobiltelefon haben?

Wir haben mit unseren Mitarbeitern in sieben Ländern – von Kenia bis Sri Lanka – gesprochen und festgestellt, dass es dafür viele gute Gründe gibt.

Sogar in den ärmsten Winkeln der Welt haben die meisten Menschen ein Mobiltelefon – 83 Prozent der Erwachsenen in den Ländern des Globalen Südens besitzen ein Mobiltelefon, verglichen mit 94 Prozent im Globalen Norden, den sogenannten Industrieländern (Pew Research, 2019). Insgesamt gibt es unter den 7,8 Milliarden Menschen auf der Welt mehr als fünf Milliarden Handynutzer. Mehr als die Hälfte davon benutzt Smartphones mit Internetanschluss (Global Digital reports, 2018). Gehen Sie auf irgendeinem verlassenen Feldweg; schauen Sie in jedes noch so bescheidene Haus und die Chancen stehen gut, dass Sie jemanden finden, der ein Handy besitzt. Auch Kinder, die dort aufwachsen, wo World Vision arbeitet.

Aber... warum?

Vielen Paten erscheint dies seltsam. Warum sollte eine Familie, die Schwierigkeiten hat, ihre Kinder zu versorgen, ein Mobiltelefon haben? Gerade jetzt während der COVID-19-Pandemie sehen wir, wie wichtig Mobiltelefone für eine in Armut lebende Familie wirklich sein können. Überall auf der Welt haben Mobiltelefone es den Menschen ermöglicht, Informationen zu recherchieren, Hilfe zu suchen, ein offenes Ohr zu finden, Waren oder Dienstleistungen zu bestellen, mit ihren Lieben in Kontakt zu bleiben, die wegen der Abriegelung weit weg sind, oder ihr Geschäft am Laufen zu halten.

In den Ländern des Globalen Südens wurden Lockdowns innerhalb weniger Stunden verhängt und Regierungen waren nicht in der Lage, finanzielle Unterstützung zu leisten. Dort waren Mobiltelefone oft die einzige Möglichkeit, Geld zu erhalten, das von der Familie für Nahrungsmittel und Lernmaterialien für den Unterricht zu Hause verwendet wurde. Auch der Zugang zu wichtigen Diensten und Organisationen wurde über Handys möglich – wie z.B. mit den Teams von World Vision in Kontakt zu treten.

Mit Hilfe von Mobiltelefonen haben wir beispielsweise Eltern oder Betreuer über COVID-19-Prävention und Kinderschutz informiert sowie mit Kindern in Video-Chats gesprochen, um ihnen zu helfen, zu lernen oder sicherzustellen, dass es ihnen gut geht. Außerdem haben wir Gesundheitspersonal geschult, wie man Fälle erkennt und versorgt, dringend benötigte Geldgutscheine an Familien überwiesen, die Schwierigkeiten haben, ihre täglichen Bedürfnisse zu decken, Kindern und Eltern psychosoziale Beratung und Unterstützung angeboten und vieles mehr.

World Vision hilft Bauern wie Marguerite in Ruanda, über ein Mobiltelefon Zugang zu agronomischen Dienstleistungen zu erhalten, um das Einkommen ihrer Familie zu sichern.

Mutter und Kind erhalten Benachrichtigungen über das Mobiltelefon

1. Ein einfaches Mobiltelefon ist billiger, als Sie vielleicht denken

Es steht außer Frage, dass der Kauf eines Smartphones für die meisten von uns ein kostspieliges Unterfangen sein kann, vor allem, wenn es mit genügend Apps und speziellen Funktionen ausgestattet ist. Aber in den ärmsten Ländern der Welt sind Mobiltelefone oft Basismodelle und viel billiger als ein Festnetzanschluss, der zudem eine Infrastruktur benötigen würde. In Mexiko kann man ein Mobiltelefon im Rahmen eines Tarifs für nur 3 US-Dollar pro Monat kaufen. Ein einfaches Mobiltelefon kostet in Armenien zwischen 7 und 10 US-Dollar, in Nicaragua 20 US-Dollar, in Myanmar 30 US-Dollar und in Westafrika 15 bis 60 US-Dollar. Gebrauchte Telefone sind sogar noch billiger und viele Arbeitgeber verschenken ihre alten Telefone an ihre Mitarbeiter. Auch die Gesprächskosten sind erschwinglich – in der Mongolei bieten Telekommunikationsunternehmen kostenlose Gesprächsdienste zwischen Eltern und Kindern unter 12 Jahren an, in Honduras kosten 100 Minuten Gesprächszeit beispielsweise nur 1 US-Dollar.

"Afrika ist bekanntlich der Kontinent, auf dem man derzeit mehr Telefone pro Person findet als auf den meisten anderen Kontinenten. Sehr paradox, nicht wahr? Doch die meisten Telefone sind sehr preiswert und selbst in den abgelegenen Dörfern hat fast jede Familie ein einfaches Tastenhandy."

Henri Coly, World Vision Westafrika

2. Mobiltelefone können Kindern (und Eltern) helfen, sich sicher zu fühlen

Wie überall auf der Welt sorgen sich auch Eltern in Entwicklungsländern um die Sicherheit ihrer Kinder, wenn sie nicht bei ihnen sind. Manche gehen lange Wege zur Schule oder verbringen viele Stunden allein zu Hause, während ihre Eltern arbeiten. Der Zugang zu einem Telefon ermöglicht es den Kindern, im Bedarfsfall Hilfe zu rufen. Und die Eltern haben ebenfalls die Gewissheit, dass es ihrem Kind gut geht – etwas, worauf alle Familien ein Recht haben, ob reich oder arm. In der Mongolei wurde sogar ein Kindernotruf eingerichtet, über den Kinder Probleme oder Gewalt melden können.

"Ein Telefon ist keineswegs ein Luxusartikel, sondern eher eine Notwendigkeit. Die Eltern geben den Kindern aus Sicherheitsgründen einfache Telefone, damit das Kind jederzeit erreichbar ist und sie wissen, dass mit ihm alles in Ordnung ist – vor allem ab dem Alter, in dem ein Kind anfängt, zur Schule zu gehen und allein nach Hause zurückkommt."

Madlen Muradyan, World Vision Armenien

3. Mobiltelefone verbinden getrennt lebende Familien

An Orten, wo die Beschäftigungsmöglichkeiten begrenzt sind, lebt und arbeitet in vielen Familien mindestens ein Mitglied teilweise weit weg von Zuhause. Telefonanrufe sind oft die einzige Möglichkeit, um in Kontakt zu bleiben. In Honduras und vielen anderen Ländern bieten Telekommunikationsunternehmen billige Auslandsgespräche in Länder wie die USA und Mexiko an, speziell um ausländische Arbeitnehmer zu servicieren. An Orten wie China, Myanmar und der Mongolei, wo es üblich ist, dass Kinder während der Schulzeit bei Verwandten oder in Wohnheimen leben, sind die Eltern auf Telefone angewiesen, um mit ihnen in Kontakt zu bleiben.

"Festnetzanschlüsse sind nicht für alle Haushalte in den ländlichen Gebieten Chinas verfügbar, aber fast jeder Haushalt hat ein Mobiltelefon, weil das Mobilfunknetz fast überall zugänglich ist. Viele Eltern arbeiten außerhalb der Stadt. Sie nutzen das Telefon, um mit den Kindern in Kontakt zu bleiben."

Mabel Tsang, World Vision China

"Es ist auch üblich, dass Kinder, die während der Schulzeit weit weg von zu Hause oder in einem Internat leben, ein Telefon haben. Die Mongolei grenzt an China, wo die meisten Produkte und Artikel aus China zu sehr günstigen Preisen angeboten werden."

Naranmandakh Badarch, World Vision Mongolei

4. Mobiltelefone ermöglichen es Kindern, online zu lernen

Schon vor COVID-19 wurde das Internet zu einem immer wichtigeren Lernwerkzeug für Schülerinnen und Schüler überall, auch im Globalen Süden. In Ländern wie der Dominikanischen Republik und El Salvador ist es üblich, dass Kinder, die zu Hause keinen Zugang zu einem Computer haben, billige Internet-Pakete auf dem Handy ihrer Eltern nutzen, um ihre Hausaufgaben zu erledigen.

World Vision hat diesen wachsenden Trend erkannt und bietet in den meisten Ländern, in denen wir tätig sind, spezielle Schulungen für Kinder und Eltern zum Thema Cybersicherheit an.

Viele Kinder, wie z.B. Therezia im Libanon, sind während COVID-19 auf mobile Internetverbindungen angewiesen, um ihre Hausaufgaben zu machen oder aus der Ferne zu lernen, da nur wenige Familien über Laptops oder Computer verfügen.

"In den meisten Gemeinden in der Dominikanischen Republik, in denen wir arbeiten, gehören die Telefone der Mutter oder dem Vater des Kindes, aber das Kind benutzt sie, um seine Hausaufgaben zu machen. Da Kinder in ihren Gemeinschaften meist keinen Zugang zu Computern mit Internet haben, um ihre Hausaufgaben zu erledigen, können ihre Eltern unbegrenzte Internet-Pakete kaufen, die nur 1 US-Dollar für einen ganzen Tag kosten."

Sharon Rodriguez, World Vision Latein- und Mittelamerika

Kind im Libanon lernt

5. Mobiltelefone geben Kindern das Gefühl, dass sie dazugehören

Heutzutage besitzt fast jedes Kind ein Mobiltelefon. Teenager aus ärmlichen Verhältnissen müssen ständig mit sozialen Stigmata kämpfen: Sie tragen nicht immer die richtige Uniform, haben nicht die benötigten Schulbücher oder es ist ihnen peinlich, dass ihre Altersgenossen wissen, wo sie wohnen oder was ihre Eltern beruflich tun. Wenn sie dann auch keinen Freund anrufen oder sich nicht über soziale Medien verbinden können, verschärft das ihre soziale Isolation noch zusätzlich. Eltern sehen natürlich, dass ihre Kinder darunter leiden. Und weil Eltern immer das Beste für ihre Kinder wollen, versuchen sie alles, ihren Kindern nicht nur Kleidung oder Schuhe zur Verfügung zu stellen, die ihnen helfen, sich anzupassen, sondern eben auch ein Mobiltelefon.

"In unserem Kontext versuchen die meisten Menschen – darunter auch Kinder – sich so zu verhalten, dass ihre Armut nicht so offensichtlich ist ... Mobiltelefone sind Gegenstände, die ihnen eine Art Gleichberechtigung mit Gleichaltrigen gewähren. Die meisten Handys sind aus zweiter Hand, sind billigere Marken und preiswerter, aber sie haben die Hauptmerkmale, die die Menschen am häufigsten nutzen – Internetzugang, Kamera und einen Touchscreen." 

Kate Kobaidze, World Vision Naher Osten und Ost-Europa

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