ZENTRALAMERIKA

Eine Notlage folgt der anderen

Durch die verheerenden Hurrikans Eta und Iota sind die Chancen auf eine Rückkehr zur Normalität für Millionen von Familien und Unternehmen in Mittelamerika im wahrsten Sinne untergegangen. Die Wirbelstürme zerstörten Infrastruktur, Ernten, Gesundheitseinrichtungen, Straßen, Schulen, Kirchen – und nicht zuletzt die Hoffnungen der Bevölkerung.

 

Von Mishelle Mitchell, Regionaldirektorin für Kommunikation bei World Vision in Mittelamerika

 

In weniger als 10 Tagen regnete es so viel, dass ganze Dörfer und Städte in Nicaragua und Honduras komplett überschwemmt wurden. Schlammlawinen in Costa Rica, El Salvador und Guatemala kosteten dutzenden Menschen das Leben und machten tausende obdachlos. Über 4,3 Millionen Menschen sind von den zwei Wirbelstürmen betroffen. Das entspricht fast der Hälfte der österreichischen Bevölkerung. Ich selbst habe in den vergangenen 30 Jahren, in denen ich in der Kommunikation in Mittelamerika tätig bin, noch nie so große Verwüstungen in mehreren Ländern gleichzeitig gesehen. Tausende haben alles verloren: ihr Zuhause, ihre Ernte, ihre Tiere und viele auch ihre Lieben. Hinzu kommt die Angst, krank zu werden. Ein Gefühl, das einfach unerträglich ist.

Denn die massiven Evakuierungen, der begrenzte Zugang zu sauberem Wasser und die überfüllten Unterkünfte erhöhen das Risiko einer COVID-19-Ansteckung stark. Natürlich schützen diese Notunterkünfte die Schwächsten vor den Elementen, aber Abstand zu halten ist dort kaum möglich.

Eta Hurrikan Menschen gehen durch Hochwasser

Notlage folgt auf Notlage

Die betroffenen Länder haben, wie viele andere hier in Zentralamerika, versucht, sich in den vergangenen Wochen von den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie zu erholen. Laut Hochrechnungen der ECLAC (Economic Commission for Latin America and the Caribbean) könnte die Wirtschaftsleistung im Jahr 2020 um 9 Prozent einbrechen. Es wurde darum gekämpft, Arbeitsplätze zu retten und strategische Sektoren wie Tourismus, Dienstleistungen und Produktion zu reaktivieren. Jetzt werden wir aber wieder einmal gewaltsam daran erinnert, wie anfällig unsere Region für den Klimawandel ist.

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Schon vor diesem verhängnisvollen November wurden durch die Pandemie schätzungsweise 20 Millionen Menschen in Zentralamerika in die Armut getrieben, viele davon Kinder. Das bedeutet Hunger, keine ausreichende Gesundheitsversorgung, kein sicheres Zuhause, keine Bildung – alles Grundrechte, die jedem Menschen zustehen sollten.

Es ist immer noch ungewiss, welche sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen dieser neuerliche Notstand durch die Naturkatastrophen wirklich haben wird. Wir von World Vision warnen aber davor, dass diese beispiellose Krise schwerwiegende Folgen für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene haben wird.

Denn Eta und Iota brachten die Initiativen zur Wiedereingliederung tausender Kinder in die Schule –durch Fernunterricht und digitalen Unterricht – zum plötzlichen Stillstand. Wir wissen noch nicht, wann Schulen, Colleges und Bildungseinrichtungen wieder öffnen können. Abgesehen davon wurde tausenden Kinder nicht nur der Ort genommen, wo sie lernen können, sondern in vielen Fällen haben sie auch ihr sicheres Zuhause verloren. Die daraus resultierenden Auswirkungen auf ihre psychische Gesundheit sind noch nicht abschätzbar.

Zentralamerika braucht eine konzertierte Unterstützung sowie technische und finanzielle Hilfe. Die Wiederherstellung von Sozialsystemen, der Wiederaufbau von Häusern und die Wiedererlangung von Hoffnung erfordert Großzügigkeit und Engagement. Als Bewohnerin dieser Region und als humanitäre Helferin kann ich nur alle bitten – seien es Regierungen, internationale Organisationen, Kirchen, Unternehmen oder Einzelpersonen: Helft uns und rettet damit Träume und Leben!

Mishelle Mitchell, Regionaldirektorin für Kommunikation bei World Vision in Mittelamerika

Über die Autorin: Mishelle Mitchell ist derzeit Regionaldirektorin für Kommunikation bei World Vision Mittelamerika & Karibik. Zuvor arbeitete sie als Reporterin und Nachrichtensprecherin in ihrem Heimatland Costa Rica sowie als Pressesprecherin des ehemaligen Präsidenten und Friedensnobelpreisträgers Oscar Arias.