Angelos ergreifende Reise durch Österreich

Vom Kindersoldaten zum Helfer

Unser Kollege Angelo Mathuch aus dem Südsudan hat eine bewegte Lebensgeschichte. Eine Woche war er in Österreich unterwegs, um diese zu erzählen.

Angelo vor einem Graffiti in Wien

„Wer von euch kennt sein Geburtsdatum?“
Wir sind etwas überrascht von dieser Frage. Wir, das ist das Team von World Vision Österreich, das sich an diesem Tag im Konferenzraum versammelt hat, um einen ganz besonderen Gast zu begrüßen. Die Frage kommt von Angelo Mathuch. Von einem Mann, der sein Geburtsdatum nicht kennt. „Ich werde wohl so um 1980 herum geboren sein. Aber manchmal fühle ich mich älter“, erzählt er mit einem sympathischen Lächeln auf den Lippen. Wer Angelos Geschichte kennt, ist von diesem Lächeln und seiner positiven Einstellung wohl ähnlich überrascht wie von seiner Eingangsfrage. Denn: Angelo war Kindersoldat und hat in seinen jungen Jahren Dinge erlebt, die sich selbst Erwachsene nur schwer vorstellen können.

Heute arbeitet Angelo für World Vision im Südsudan.
In seiner Heimat ist er für jene Kinder da, die ein ähnliches Schicksal erlebt haben wie er. Er ist in Österreich, um seine Geschichte zu erzählen. Eine Woche lang begleiten wir ihn quer durch das Land, von Linz über Villach bis Graz nach Wien. Hunderte Menschen lauschen gebannt seinen Erzählungen. Angelo spricht in Schulen, vor Paten und Spendern, Glaubensgemeinschaften und Politikern sowie mit Journalisten von Zeitungen und Radiostationen. „Ich bin dankbar dafür, dass ich meine Geschichte vor so vielen Leuten erzählen und dadurch Bewusstsein für die Situation von tausenden Kindern im Südsudan schaffen kann“, so Angelo.

Angelo Mathuch beim Business Breakfast in Wien
Angelo am Linzer Bahnhof
Angelo zu Besuch in der Evangelischen Pfarre A.B. Linz-Urfahr
Die Schneemassen am Weg nach Villach sind einen kurzen Stopp wert. „Aber am liebsten schau ich mir den Schnee von drinnen an“, scherzt Angelo, der hier mit Martina und Monika von unserem Patenservice zu sehen ist.
Angelo begeistert mit seinen Deutsch-Kenntnissen
Schüler in der GIBS Graz
Die Schüler sind begeistert von Angelo
In Graz sind viele junge Menschen unter den Gästen
Angelo im steirischen Landtag
Angelo im Gespräch mit Furche-Redakteur Oliver Tanzer
Angelo im Gespräch mit FM4-Redakteur Chris Cummins
Business Breakfast mit Anne Fleck
Angelo im Haus der Industrie in Wien
Insingizi schließen den Abend in Wien musikalisch ab
Hab Mut

Seine Geschichte beginnt in dem kleinen Dorf Majoknoon im damaligen Süden des Sudans... 
Der Südsudan wurde erst 2011 ein eigenständiges Land. An einem Ort, wo es Anfang der 1980er-Jahre nicht üblich war, Geburtsdaten aufzuzeichnen. Angelo wohnt dort mit seiner Mutter und neun Geschwistern. „Meine Aufgabe war das Hüten der Ziegen und Kühe. Ich hab das gern gemacht, es war schön, den ganzen Tag draußen zu sein“, erzählt er von seiner einfachen, aber für ihn glücklichen Kindheit. „Dann ging der Konflikt los. Der Norden kämpfte gegen den Süden des Landes. Viele Leute wurden getötet, ganze Dörfer niedergebrannt. Und eines Tages auch unseres.“ Wenn Angelo von dieser Zeit spricht, bekommt er einen traurigen Gesichtsausdruck und seine Stimme wird leiser. „Das war der Zeitpunkt, an dem ich zu meiner Mutter sagte, dass ich losgehen und kämpfen lernen möchte, um sie und unsere Familie zu verteidigen.“ Und so kommt es, dass der damals 7-jährige Angelo sich der Sudan People’s Liberation Army anschließt. „Nach drei Monaten wollte ich mit meiner Waffe wieder zurück im Dorf sein. Das war der Plan.“ Aber alles kommt anders.

Manche Dinge vergisst man nicht.
„Wir waren Tausende Kinder und drei Monate zu Fuß unterwegs, bis wir im Ausbildungslager in Äthiopien ankamen“, sagt er und erinnert sich dabei an Dinge, die er vermutlich niemals vergessen wird. Am Weg plündern sie Dörfer. „Wenn sie uns genug zu essen gegeben haben, haben wir ihnen nichts getan. Aber wenn sie sich gewehrt haben, blieb von den Dörfern manchmal nicht viel übrig.“ Angelo tut sich schwer, darüber zu reden. Auch wenn er selbst nie jemanden getötet hat, bedauert er die Dinge zutiefst, die er in dieser Zeit gemacht hat. Und er hat Freunde verloren: „Diejenigen, die zu schwach waren, wurden einfach am Weg zurückgelassen.“

In Äthiopien lernen die Kinder, wie sie mit Waffen umgehen, und was es heißt, „Soldat“ zu sein. „Deine Waffe ist alles, haben sie uns gesagt. Deine Mutter, deine Familie, dein Essen, dein Leben …“ Angelo muss im Ausbildungslager verharren, weil er noch zu jung und schwach ist, um ein Gewehr über lange Strecken selbst zu tragen. Nach einiger Zeit müssen sie aufgrund von politischen Unruhen Äthiopien verlassen und in den Sudan zurückkehren. Wochenlang durchqueren sie Wälder, werden aus der Luft bombardiert und leiden Hunger. An der Grenze zu Kenia trifft Angelo das erste Mal auf World Vision. „Sie haben uns in ein Flüchtlingscamp nach Kenia gebracht. Die Voraussetzung dafür war, dass wir unsere Waffen abgeben. Wer hätte gedacht, dass ich 15 Jahre später für World Vision zu arbeiten beginne.“ Angelo verbringt acht lange Jahre in dem Camp.

Es war eine harte Zeit. Wir hatten nicht immer genug zu essen. Aber mir wurde dort klar, wie wichtig Schulbildung ist.
Angelo Mathuch

Angelo hat Glück 
2001 ist er einer von 3.000 ehemaligen Kindersoldaten, die im Rahmen des Lost Boys Programms von einer Familie in den USA aufgenommen werden. „Alles war eine Herausforderung: Das Essen mit Gabel und Messer, Rolltreppen, Telefone, Fernseher … Ihr werdet nicht glauben, wie oft ich gegen Glastüren gerannt bin“, erzählt er heute amüsiert. Angelo schließt die High School ab und studiert Religionswissenschaften und Internationale Entwicklung.

Zu dieser Zeit erfährt er auch, dass seine Mutter noch lebt. 2007 besucht er sie in seiner Heimat Südsudan. „Es war mein größter Wunsch, meine Mutter noch einmal zu sehen. Das war es, was mich immer durchhalten hat lassen.“ 20 Jahre nachdem er sein Dorf verlassen hat, schließt er sie in die Arme: „Sie war alt geworden und ich groß – aber sie wollte unbedingt, dass ich mich auf ihren Schoß setze. Wir haben die ganze Nacht geredet, ich musste ihr alles erzählen.“ Angelos eigentlicher Plan ist, dass er seine Mutter nach Amerika mitnimmt und dort für sie sorgt. Er bemerkt aber schnell, dass sein Herz in den Südsudan gehört und dass er hier dringender gebraucht wird als in den USA.

Angelo und World Vision
2008 wird Angelo Mitarbeiter von World Vision. Sein großer Antrieb ist, Hoffnung zu geben. Und die braucht der seit 2011 unabhängige Staat dringend. 2013 brechen erneut Unruhen aus, die Not und Elend bringen. Aktuell sind 7 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen, davon 4,2 Millionen Kinder. 1,9 Millionen Menschen gelten als Flüchtlinge im eigenen Land, weitere 2,2 Millionen sind in Nachbarländer geflohen.

Eine der Aufgaben von Angelo und seinen Kollegen im Südsudan ist die Reintegration von Kindersoldaten. Angelo hat das gleiche Schicksal wie viele dieser Kinder: „Ich kann ihnen meine persönlichen Erlebnisse erzählen und sie ermutigen, positiv in die Zukunft zu blicken. Ich möchte ein Zeichen der Hoffnung für sie sein.“

Angelo Mathuch arbeitet im Südsudan bei World Vision

Emotionaler Abschied
Angelos Geschichte zu hören, löst zweifelsohne das gesamte Spektrum an Gefühlen aus: Fassungslosigkeit, Traurigkeit und Verzweiflung. Aber auch Ergriffenheit, uneingeschränkte Hoffnung und Freude. Und genau diese positiven Gefühle bleiben über. Um es in Angelos Worten zu sagen: „Die Liebe ist die stärkste Kraft, die es gibt. Wenn du nur ein wenig Liebe im Leben erfährst, kann Gutes entstehen. Und nur darum geht es!“

Angelo massiert seine Lachmuskeln
Angelo mit Kinder
Anne und Angelo